CANTORIA ist ein Forschungsprojekt, das sich aus interdisziplinärer Perspektive dem Wechselverhältnis von Musik und Sakralarchitektur in der Frühen Neuzeit widmet. Das Projekt ist am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft (IKM) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz beheimatet und wird von Prof. Dr. Klaus Pietschmann im Rahmen seines Gutenberg-Forschungskolleg-Fellowships geleitet.
Forschung
Bild: © Kunsthalle Hamburg
ZIELE
Das CANTORIA-Projekt nimmt die vielschichtige bislang meist disziplinär separiert untersuchte Wechselbeziehung von Musik und Sakralarchitektur in den Blick und konzentriert sich dabei auf die Sängernkanzeln, Orgelemporen und andere Musikräume der Frühen Neuzeit. Die Untersuchung bezieht gleichermaßen Musikwissenschaft, Kunst- und Architekturgeschichte, Liturgie- und Kirchengeschichte ein. In einer Reihe von Workshops und internationalen Tagungen sollen in dezidiert inter- bzw. transdisziplinärer Perspektive Wissenschaftler*innen der genannten Fächer zusammengeführt werden, um den skizzierten Phämomenbereichvon der Spätantike bis zur Frühen Neuzeit in unterschiedlichen Facetten zu diskutieren.
Leitende Fragestellungen sind diese:
- Inwiefern berücksichtigten Bauträger und Architekten musikalische Belange bei der Konzeption und Konstruktion neuer Kirchenbauten?
- Welche Rolle weist die Architekturtheorie der Akustik und der musikalischen Performanz zu?
- Wie reagierten Komponisten und Interpreten auf die architektonische und akustische Situation in Sakralräumen?
Kurz: Wie gestaltete sich das Verhältnis von Kirchenmusik und -architektur?
SKIZZIERUNG DES THEMAS
Mit den kompositorischen Entwicklungen zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit ging ein vielfältiger Wandel der Erfordernisse an die musikalische Aufführungspraxis einher, die mit dem Ritus und der Messfrömmigkeit in enger Wechselwirkung stand und die Kirchenarchitektur ebenso wie das Liturgie- und Musikerleben nachhaltig beeinflusste. Markantesten Niederschlag erfuhr diese Entwicklung in der Einrichtung von Sängerkanzeln und Orgelemporen, die die Wirkungsorte oft hochkarätiger Musikerequipes und Organisten bildeten und damit als Bühnen musikalischer Exzellenz fungierten. Die dauerhafte Sichtbarmachung der Musik als Teil des Gottesdienstes avancierte zu einem Kernbereich der Sakralarchitektur, während sich das identifikationsstiftende Potential dieser Orte in zahlreichen Graffiti niederschlug, etwa in der Sängerkanzel der Cappella Sistina.
Die von Luca della Robbia und Donatello für den Florentiner Dom geschaffenen cantorie oder Jacopo Sansovinos pergoli im venezianischen Markusdom sind prominente Beispiele für den hohen künstlerischen Wert, der den Sängerkanzeln bereits in der Renaissance beigemessen wurde. Die mehrchörige Musikpraxis, die ausgehend vom Italien des Cinquecento ein im 17. und 18. Jahrhundert europaweites Phänomen darstellt, erforderte die Modifikation altehrwürdiger Sakralräume und die Integration von Musikerräumen in Kirchenneubauten. Wie sich nun das Wechselverhältnis von musikalischer und liturgischer Praxis mit der Sakralarchitektur von der Spätantike bis zur Frühen Neuzeit gestaltete, ist Gegenstand des CANTORIA-Projekts.
Leitung: Prof. Dr. Klaus Pietschmann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Dr. Tobias C. Weißmann
Studentische Hilfskraft: Kim-Carolin Mahling
Bild: © Kunsthalle Hamburg